Wenn Geranien wichtiger sind als Beerdigungen

In Niedersachsen haben die Baumärkte seit dem 04.04.2020 wieder geöffnet. Für viele Hobby- Gärtner und -Handwerker ein Traum. Die Warteschlangen sind immens, die Blumen vor Ostern sehr schnell ausverkauft, weil man sich nur wohlfühlt, wenn der Balkon blüht und die Gärten bunt sind. Was machen wir denn, wenn wir keine schönen Gartenstühle haben oder die Geranien im Garten nicht blühen. Wir sind traurig und ärgern uns über diesen Ausnahmezustand, weil wir nicht mehr das machen können, was wir „schon immer mal machen wollten“, es aber immer vor uns hergeschoben haben, weil man ja sonst „zu nichts kommt“. Wir regen uns darüber auf, dass die Geschäfte geschlossen sind und denken an unsere Visitenkarte, den Vorgarten. Alles in Zeiten, in denen wir dazu angehalten sind, die Risikogruppen zu schützen und zu versuchen, dass unser Gesundheitssystem nicht kollabiert. 

Aber was, frage ich mich in diesen Tagen, was genau macht den Baumarkt „systemrelevant“? Es hebt wahrscheinlich die Moral der Gesellschaft, sich endlich mal aufgeschobenen Projekten zu widmen. Da fragt man sich doch, was ist das, diese gesellschaftliche Moral? Wenn bis zu 30 Menschen, natürlich mit Sicherheitsabstand, am Eingang des Baumarktes stehen, um sich den neusten Schrei der Gartenwelt zuzulegen, aber nicht mal 15 Menschen zu einer Beerdigung dürfen. 

Das Sterben – ein Thema, welches sehr präsent ist durch die Pandemie – wird gesellschaftlich nicht als sehr wichtig angesehen. Den Trauernden ist es nicht gestattet sich gegenseitig Halt zu geben, den Verstorbenen zu gedenken. Ich glaube, dass hier ein Präferenzproblem vorliegt, denn Trauer muss angegangen werden, damit die Menschen Abschied nehmen können. Gerade in diesen Zeiten ist die Trauer wichtig. Trauer ist auch eine Besinnung. Wenn es aber wichtiger ist, dass ich torffreie Blumenerde im Baumarkt bekomme, es aber nicht so wichtig ist, meinen Verwandten in den Arm zu nehmen, weil dieser gerade seine Mutter, Großmutter oder Partner verloren hat, dann hat die Gesellschaft ein Problem. Dieses Problem ist kapitalistischer Natur, weil das Materielle dem seelischen Frieden und Wohlbefinden – leider – überwiegt. 

Gerade in der Zeit von Einsamkeit und Alleinesein, gibt es nichts Wichtigeres als den anderen, meinen Lieben, einen Halt zu geben. Sich gegenseitig zu stärken, damit man nicht alleine mit der Trauer in seiner Wohnung sitzt. Wenn das der Fall ist, ist es auch nicht schön, wenn die Geranien in der torffreien Erde in der Sonne baden, denn es fehlt jemand und es fehlt der sich gegenseitig spendende Halt.

Wir sollten die Baumärkte schließen und der Moral wieder die Tür zur Gesellschaft öffnen, lieber jetzt als später, denn die Traumata, die sonst an der Tür klopfen, sind nicht einjährig wie die Geranien. 

Herzlich Willkommen.

Schön, dass Sie einen Weg auf meinen Blog gefunden haben. Hier werden immer wieder Artikel, die aus eigener Feder oder aus fremder Feder stammen, zu den verschiedensten Themen auftauchen. Doch alle Beiträge ziehen ihre Kreise um die Themen Gesellschaft, Feuilleton, Politik.

Ich schreibe diese Zeilen in Zeiten der Pandemie. In Zeiten, in welchen jeder von uns merkt, dass etwas fehlt. Jedem von uns fällt in diesen Tagen, auf welche Möglichkeiten selbstverständlich für uns waren.

Für mich ist es das Theaterstück, das ich nun nicht mehr sehen kann. So auch die Kneipe um die Ecke, in die ich nicht gehen kann, in welcher ich mit Freunden über eben jenes Theaterstück diskutieren kann.

Genau diesem Thema möchte ich mich in dieser Zeit widmen und auch mahnend sein, denn: Nach keiner Krise ist das Leben, wie es vorher war. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir darauf achten was uns nun fehlt und dafür kämpfen, dass es uns nicht genommen wird. Die Kultur ist in diesen Zeiten, in denen wir alle zu Eremiten werden, wichtiger denn je.

Damit will ich nicht zum Ausdruck bringen, dass ich die Maßnahmen für schlecht halte oder nicht notwendig. Ganz im Gegenteil das sind sie. Nicht desto trotz ist es wichtig, dass wir gerade die Kultur und ihre Kanäle schützen vor einer Resignation. Die Gesellschaft muss sich jetzt im Raum des Internets zusammen finden und dann wenn die Krankheit und der Virus im Griff ist wieder auf die Straßen und die Welt hinausdrängen und alles wahrnehmen, was die Welt uns zu bieten hat (um es mit den Worten Lion Feuchtwangers zu sagen): Ein möglichst intensives Leben!

In diesen Tagen ist der sehr stärkende Satz unserer Bundeskanzlerin, wie schon damals, wieder wichtig: Ja, wir schaffen das! Gemeinsam sind wir stark.

Bleiben Sie gesund!